Presse-Archiv 2001

Auffangstation Jugendamt - Beistand wird zunehmend gebraucht und gefordert

Jugendhilfe schlägt ins Kontor

22.08.2001

Darmstadt-Dieburg - In der Jugendhilfe explodieren die Kosten wie in keinem anderen Aufgabengebiet des Landkreises. Seit 1996 sind die Ausgaben um mehr als dreizehn Millionen auf rund 41 Millionen Mark geklettert - ein Anstieg um 46 Prozent. Auf einzelnen Feldern schießen die Aufwendungen noch steiler in die Höhe. Nach Einschätzung der Ersten Kreisbeigeordneten Celine Fries liegen die wesentlichen Gründe darin, dass immer mehr Eltern ihrer Erziehungsaufgabe nicht gewachsen sind, soziale Notlagen zunehmen und immer mehr Kinder und Jugendliche wegen Entwicklungsstörungen oder Auffälligkeiten in ihrem Verhalten buchstäblich an die Hand genommen werden müssen. In wachsendem Maß sei der Staat als Ersatz-Erzieher und Betreuer gefordert. Das Jugendamt werde im Gegensatz zu früher inzwischen weitgehend als Dienstleistungsbetrieb und Auffangstation angesehen; die Hemmschwelle, sich in Krisen dorthin zu wenden, sei gefallen - was Fries durchaus begrüßt. Allerdings versuchten Eltern auch vermehrt, ihr vermeintliches oder tatsächliches Recht auf Unterstützung juristisch durchzusetzen. Eine Sparte mit besonders dramatischen Kostensteigerungen sind die Eingliederungshilfen für seelisch behinderte junge Menschen. Hier haben sich die Ausgaben innerhalb von fünf Jahren fast verzehnfacht - von 500.000 auf voraussichtlich 4,8 Millionen Mark in diesem Jahr. Mit ambulanten und stationären Therapien in Heimen oder Fachkliniken fördert das Kreisjugendamt zurzeit 305 Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, teilweise bis zum Alter von 27 Jahren, aufgrund unterschiedlichster Störungen. Dazu gehören unter anderem Legasthenie, Hyperaktivität und Schulversagen, Neurosen und Psychosen, Autismus, Schizophrenie, Bulimie oder das Borderline-Syndrom. Abhängig von der Schwere des Falls bewegt sich der finanzielle Aufwand zwischen einigen hundert und 150.000 Mark per anno. Die Behandlung dauert mitunter mehrere Jahre. Welche Maßnahmen jeweils angemessen erscheinen, um einem bestehenden oder drohenden seelische Schaden entgegenzuwirken, bestimmen in erster Linie Gutachten von Ärzten oder Psychiatern. Aber nicht immer sind Experten, Eltern und Jugendamt einer Meinung. Einen strittigen Fall entschied der Verwaltungsgerichtshof in Kassel jetzt zugunsten der Eltern: Beim Schulbesuch hat ihr Sohn in Zukunft ständig eine sozialpädagogische Fachkraft an seiner Seite. Auf diese Weise soll ihm zu einer angemessenen Schulbildung verholfen und gleichzeitig ausgeschlossen werden, dass er seine Mitschüler und Lehrer gefährdet. Das Gericht gab dem individuellen "Geleitschutz", der mit bis zu 140.000 Mark im Jahr zu Buche schlägt, gegenüber der vom Jugendamt vorgeschlagenen - vorläufigen - Unterbringung in einem Heim den Vorrang. Wegen aggressiver Handlungen in der Klasse war der Junge, dem eine tiefgreifende psychische Entwicklungsstörung attestiert wird, von der öffentlichen Schule ausgeschlossen worden und erhielt zeitweise häuslichen Sonderunterricht. In einem anderen Fall verpflichtete das Verwaltungsgericht Darmstadt den Landkreis, die Kosten für eine Privatschule von 850 Mark im Monat zu übernehmen. In einer Sonderschule würde der betroffene Jugendliche, der unter Entwicklungsdefiziten, Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen leidet, nach Meinung des Gerichts möglicherweise unter-, in einer Regelschule hingegen überfordert werden. Dies könne eine seelische Behinderungen auslösen, heißt es in der Begründung.

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