Presse-Archiv 2004

Kreis treibt Steuern und Gebühren ein - "Kuckuck" kreist überm Reitpferd

Wenn der Pfandmeister klingelt

06.08.2004

Darmstadt-Dieburg - Um die Zahlungsmoral ist es im Landkreis offenbar schlecht bestellt, zumindest bei öffentlich-rechtlichen Forderungen. Mit knapp 19.000 Aufträgen von Städten und Gemeinden, Innungen, Kammern und anderen Institutionen, die Außenstände im Umfang von mehr als acht Millionen Euro eingetrieben haben wollten, hatte die Vollstreckungsbehörde im vergangenen Jahr das größte Pensum von allen 21 Kreisen in Hessen zu erledigen. Diese nicht sonderlich rühmliche Spitzenposition wird Darmstadt-Dieburg wohl auch im laufenden Jahr behalten: Von Januar bis Juli gingen bereits rund 10.300 Vollstreckungshilfeersuchen über Forderungen von 4,4 Millionen Euro ein.

So recht zu erklären weiß Amtsleiter Herbert Glock die herausragend hohe Zahl säumiger Zahler nicht, denn andere Kreise haben beispielsweise deutlich mehr Einwohner und Arbeitslose. Festzustellen sei jedoch, dass zunehmend die "Mittelschicht" und vermeintlich gut Situierte wie Ärzte oder Rechtsanwälte Mahnfristen verstreichen lassen, Gewerbe-, Jagd- und Hundesteuer, Rundfunk-, Abfall- und Kanalgebühren, den Handwerkskammerbeitrag, die Schornsteinfegerrechnung oder den Knollen fürs Falschparken nicht bezahlen. Glock spricht von einer "neuen Armut". Es gestalte sich immer schwieriger, Geld hereinzuholen. 1,7 Millionen Euro konnten seine vier Innen- und fünf Außendienstmitarbeiter voriges Jahr den Gläubigern zuführen, in diesem Jahr bisher 1,2 Millionen. Zunehmend können Betroffene allenfalls in kleinen Raten über einen längeren Zeitraum die Forderungen erfüllen. Über einem Reitpferd beispielsweise schwebt buchstäblich der "Kuckuck"; es dient als Sicherheit, bis die Besitzerin ihre Schulden abgestottert hat. Die Zahl der Lohn- und Kontopfändungen hat sich 2003 gegenüber dem Vorjahr auf mehr als 600 verdoppelt. Immer öfter müssen Wertsachen aus der Wohnung, Autos und Grundstücke gepfändet und zwangsversteigert werden oder Schuldner einen Offenbarungseid leisten.

Für die Pfandmeister, die unmittelbar mit den Klienten zu tun haben, wird das Klima immer rauer. Sie geraten zunehmend in die Rolle des Sozialarbeiters und Blitzableiters. Sie sehen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit und sind andererseits häufig Schimpfkanonaden über "die in Berlin" und Wutausbrüchen mit knallenden Türen und fliegenden Brocken ausgesetzt. "Es wird schon mal ziemlich laut, aber nie handreiflich", berichtet ein Vollziehungsbeamter. Man bemühe sich, jeweils den richtigen Tonfall zu finden, biete seinen Rat beim Ordnen der Finanzen an und Hilfe, etwa wenn Kinder vernachlässigt wirken oder die Wohnung einen verwahrlosten Eindruck macht. Manchmal helfe auch weiblicher Charme, aggressive Zeitgenossen zu besänftigen, wissen die beiden Frauen im Team. Mit Täuschen, Tricks und Tarnen versucht manch einer, den lästigen Besuch vom Amt auflaufen zu lassen. Da wird auf Klingeln nicht geöffnet, aber hinter der Gardine huscht ein verräterischer Schatten oder auf dem Küchentisch dampft der Frühstückskaffee neben der angebissenen Stulle. Wenn es kein Entrinnen mehr gibt, das Schloss schon aufgebohrt wird und die Polizei anrückt, geht dann oft im letzten Moment die Tür "freiwillig" auf. Mitunter bekommen die Pfandmeister auch Märchen zu hören, etwa dass man nicht zum verabredeten Termin kommen könne, weil der Vater einen Herzinfarkt erlitten habe. Dumm nur, wenn der Anrufer, der sich angeblich gerade in einer Spezialklinik im Taunus aufhält, justament an seinem Sachbearbeiter vorbeifährt. Der nimmt natürlich prompt die Verfolgung auf, bis das Auto auf einem Supermarktparkplatz hält. Von Kommissar Zufall überrascht, hat der ertappte Schwindler dann doch seine Schulden zähneknirschend bezahlt. Sein "kranker" Vater saß übrigens quicklebendig auf dem Beifahrersitz.

zurück...