"Warum lässt Gott das zu?"

Podiumsdiskussion des InterReligiösen Forums im Landkreis Darmstadt-Dieburg am 3. Oktober 2022 in der DITIB-Moschee in Dieburg

Es ist eine Frage, die sich religiöse Menschen seit jeher stellen: „Warum lässt Gott das zu?“
Gemeint ist das Leid in der Welt, das heute durch Krieg, Pandemie und Folgen des Klimawandels, aber auch durch ganz individuelle Leiderfahrungen Menschen betrifft. Antworten oder zumindest Annäherungen an die so genannte Theodizee-Frage wagten Vertreter*innen verschiedener Religionen am 3. Oktober 2022 in Dieburg.
Das InterReligiöse Forum im Landkreis Darmstadt-Dieburg hatte am Tag der Deutschen Einheit, der zugleich Tag der Offenen Moschee ist, und im Rahmen der Interkulturellen Wochen zur Podiumsdiskussion in die DITIB-Moschee eingeladen.

Abdassamad El Yazidi, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland und Sprecher des InterReligiösen Forums, begrüßte die Gäste auf dem Podium und im Publikum. Christel Sprößler, Sozial- und Jugenddezernentin des Landkreises Darmstadt-Dieburg, lobte das „freundschaftliche Miteinander“ im InterReligiösen Forum, das seit fünf Jahren besteht und für dessen Wirken die Kreisverwaltung den Rahmen bietet.

Moderatorin Dr. Fariedeh Huppertz, Ärztin für Psychotherapeutische Medizin, fragte zunächst nach der Bedeutung der Frage „Warum lässt Gott das zu?“. Daniel Neumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Darmstadt und des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, sprach von der „ultimativen Frage, die sich jeder religiöse Mensch stellt“. Für Juden spiele die Frage, warum der gute, gerechte, allmächtige Gott die Shoa zugelassen habe, den Tod von sechs Millionen Zugehörigen zu seinem auserwählten Volk, eine besondere Rolle, die auch zu Verwerfungen führe.

Dass „Religionen meistens keine einfache Antwort auf die Frage geben“, sagte Dr. Armin Eschraghi von der Bahá'í-Gemeinde, „sie sollten es auch nicht“, so der Islamwissenschaftler. Auch wenn man der Frage nach dem Warum ratlos gegenüberstehe, könne man Trost in Heiligen Schriften, in Gemeinschaft und Gebet finden. Wichtiger als das Warum sei für ihn die Frage des Umgangs mit dem Leid.

Beeindruckend sei für Fatma Karakaşlı, Religionsbeauftragte der DITIB-Moscheegemeinde Dieburg, wenn der Glaube bei einem Todesfall tröste, stark mache und zu Erkenntnis führe. Im Islam werde die Welt als unvollkommen, Gott aber als absolut gut und vollkommen angesehen.

Johannes Löffler-Dau, katholischer Klinikseelsorger am Alice-Hospital in Darmstadt, sieht eher einen Antwortversuch als eine Antwort im „Mitgehen, wenn ein Mensch leidet“. In seinem Arbeitsalltag in der Klinik sei die Frage, warum Gott Leid zulasse, eine ständige Herausforderung.

Gott habe dem Menschen einen freien Willen gegeben, daher könne er auch Schlechtes tun, menschengemachtes Leid verursachen, sagt Daniel Neumann. Die Frage führe schließlich zu Hiob: „Wenn wir Gott verstehen würden, wären wir Gott.“ Diese Antwort sei zwar unzufrieden stellend, aber „das Ehrlichste, was man bekommen kann“.

Dr. Armin Eschraghi verwies auf die Hoffnung in der Religion, dass es Gerechtigkeit und Frieden im zukünftigen Leben gebe. Fatma Karakaşlı gab Beispiele, wie man durch Schmerz gesundwerden könne. Johannes Löffler-Dau, der viele Trauerprozesse begleitet, sprach vom „Reifen durch Leiden“. Jesus selbst sei den Weg durch das Leid gegangen, um aufzuerstehen.

Die Frage nach Gott müsse jedoch offenbleiben, stellte die Moderatorin fest. „Gott ist anders“, so Dr. Fariedeh Huppertz, das habe Hiob gezeigt, „Gott ist unbegreiflich, unverfügbar“. Menschliche Kategorien könnten ihn nicht fassen. Religion sei immer eine „Suchbewegung“ nach Gott.

Die Spannung zwischen der Welt, wie sie sein sollte und der, wie sie ist, beschrieb Daniel Neumann anschaulich mit einem Midrasch, einer jüdischen auslegenden Erzählung, von Abraham, der einen glänzenden und einen brennenden Palast sieht – bei beiden zeigt sich Gott als Eigentümer. Gott sage zu Abraham, dass er ihn an seiner Seite brauche, um das Feuer zu löschen. Im Protest gegen diese Widersprüchlichkeit entstehe das Judentum, das handlungsbasiert Leid mildern und Spannungen lösen soll, um so „den Palast in Flammen zu löschen“. „Gott braucht uns als Partner, um die unvollkommene Schöpfung vollkommener zu machen“, so Neumann.

Auch Jesus rufe auf zu handeln, „Ausgegrenzte und Leidende stehen bei ihm im Mittelpunkt“, so Johannes Löffler-Dau. Dr. Armin Eschraghi betonte, dass die Religion auch erlaube, mit Gott zu hadern, zu rechten und Fragen vor Gott zu bringen. Mehr als die Theodizee-Frage zu lösen, wiege aber, seinen Beitrag zu leisten, um Leid zu lindern. „Kalif Allahs“ sein, bedeute ein Nachfolger Gottes zu sein, erklärte Fatma Karakaşlı, dies stelle eine „große Verantwortung, auf der Erde Gutes zu tun und Leid abzunehmen,“ dar.

Daniel Neumann stellte abschließend die These in den Raum, dass es keine Antwort auf die Frage „Warum lässt Gott das zu?“ geben dürfe, sonst gebe es keinen Widerstand gegen das Leid mehr.

Nach einigen Reaktionen im Publikum, etwa, dass das Bild von „Gott als Steuermann“ zu hinterfragen sei, schloss die Moderatorin: „Es gibt kein Happy End, aber es gibt Konsense“. Es sei nicht entscheidend und auch nicht möglich, die Frage des Abends zu beantworten, sondern das Entscheidende liege darin, wie die Religionen mit Leid umgehen, Orientierung geben, trösten und nicht tabuisieren, sagte Dr. Fariedeh Huppertz.

Im Anschluss waren die rund 70 Besucherinnen und Besucher noch zu einem kleinen Umtrunk und Imbiss in der Moschee eingeladen.

 

 

Sozial- und Jugenddezernentin Christel Sprößler spricht vor den Anwenden
Die Podiumsrunde